„Wir können ihr Kind nicht einordnen“ - Bürokratie in Deutschland

Veröffentlicht am 10.10.2018 in Unterbezirk

Mein Sohn ist inzwischen 17 Jahre alt und wir haben es nach jahrelangem Kampf endlich geschafft, einen Behindertenstatus zu bekommen.

Ich will nicht wissen, wie viele Eltern diesen langen Atem nicht haben. Auch bei mir war zwischenzeitlich die Luft raus. Doch ich habe nicht aufgegeben und hatte das Glück schlussendlich an die richtigen zu gelangen.

Aber von vorn: 

Mein Sohn ist seit Geburt entwicklungsverzögert. Von Anfang an bin ich von Arzt zu Arzt und Therapeuten gelaufen, um irgendwie Unterstützung und Förderung zu erhalten. Ich habe mehrmals die Aussagen bekommen: „Wir können ihr Kind nicht einordnen. Für einige Dinge ist er zu schlau und anderes müsste er können, schafft es aber nicht.“

Seit dem Kindergartenalter bekam ich eine Frühförderung. Als er in die Schule kam, musste ich ihn erstmal in eine normale Grundschule einschulen lassen da die Förderschulen nicht einschulen dürfen. Ich wusste von Anfang an, dass er es dort nicht schaffen würde, auch wenn die Lehrer sich Mühe geben, doch er benötigt nun mal wesentlich mehr Zeit als die anderen Schüler. Bei einer Klassenstärke von 26 Kindern ist es nicht möglich für die Lehrer, sich nur auf einen zu konzentrieren. Also habe ich gleich vor Beginn des zweiten Schuljahres mit den Lehrern besprochen, um ihn zur zweiten Klasse in eine Förderschule zu bekommen. Aufgrund eines Eilverfahrens haben wir das auch geschafft.

Als mein Sohn dann auf der Förderschule war, ging es ihm wesentlich besser, da er Erfolge in der Schule feiern konnte. Ich bin aufgrund einer Empfehlung noch zu einer Lernförderung mit ihm gegangen. Diese musste ich allerdings privat finanzieren, was als alleinerziehende Mutter nicht immer einfach war. Mir wurde dort empfohlen eine Lernförderung zu beantragen, was ich dann auch getan habe. Nach vielen Fragebögen, ärztlichen Gutachten und langem Warten habe ich tatsächlich eine Ablehnung bekommen mit folgender Aussage: “Ihr Sohn ist zu  dumm  für eine Förderung, da bringt das nichts.“ Sie können sich vorstellen, wie man als Mutter von solch einer Aussage durch eine staatliche Bedienstete getroffen ist.

Ich gab jedoch nicht auf, bin zur nächsten Anlaufstelle gegangen, dort habe ich den ersten Antrag auf einen Behindertenstatus gestellt, um eine Lernförderung aus einem anderen Topf zu bekommen. Aber auch dieser Antrag wurde abgelehnt trotz vieler ärztlicher Gutachten. Mein Sohn war inzwischen in der 5. oder 6. Klasse und nach vielen Ergotherapien, Logopäden, privater Lernförderung war meine Kampfesenergie aufgebraucht.

Als mein Sohn in die 8. Klasse kam, begann die Schule, die Kinder auf die Arbeitswelt vorzubereiten. Da habe ich über den Integrations-Fachdienst eine nette Beraterin kennengelernt, die mich ermutigte, nochmals einen Antrag auf Behindertenstatus zu stellen. Dieses tat ich dann auch, und alles begann von vorne. Ärztliche Gutachten, diverse Fragebögen und so weiter und so weiter. Ich dachte mir nur immer: Wie sollen diese Leute über mein Kind urteilen, wenn sie es nicht einmal sehen und kennenlernen.

Nach ca. einem Jahr kam wieder eine Ablehnung zu meinem Antrag, doch diesmal hatte ich Unterstützung und habe gleich Einspruch erhoben. Danach musste sogar (endlich) die Schule eine Einschätzung schreiben, und nach einem weiteren Jahr bekam ich Post, dass ich meinen Sohn noch mal einem Psychologen vorstellen muss. Diesen Termin haben wir dann wahrgenommen und es kamen noch mehrere Tests dazu, mit der finalen Erkenntnis, dass mein Sohn wirklich nicht allein lebensfähig ist. Nach weiteren 6 Monaten Wartezeit kam endlich der neue Bescheid vom Landesamt.

Ja, wir haben es geschafft, dass er einen Grad der Behinderung von 60 bekommen hat. Ich bezeichne meinen Sohn als Lückenkind. In einigen komplizierten Dingen ist er pfiffig und bekommt es allein hin, aber bei anderen teils sehr einfachen Dingen des täglichen Lebens nicht. Jetzt endlich kann ich als Mutter einen Titel erwirken lassen, um ihn in seinem Leben ab 18 weiterhin unterstützen zu können. Es geht nicht darum, ihn zu gängeln oder kontrollieren, aber was mir wichtig ist, ist, dass ich ihm helfen kann.

Ich will nicht wissen, wie viele Eltern nicht die Kraft, Zeit und Geduld haben, diesen langen Weg zu gehen. Deren Kinder bleiben dann oft auf der Strecke. Ich kann aber nur jeden ermutigen bis zum letzten zu kämpfen, auch wenn es anstrengend ist. Es lohnt sich!


Dana Bosse

 

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